SG 38 Geschichte

...der „prähistorische“ Saurier des Menschenflugs

Wer in heutiger Zeit den SG 38 erblickt, wird im ersten Moment an Otto Lilienthals Hängegleiter und andere „prähistorische“ Saurier des Menschenflugs denken. Gitterrumpf, offener Pilotensitz und jede Menge Spannseile wirken jedenfalls nicht mehr ganz zeitgemäß…

In der Zeit vor 1955 war es in Deutschland vielerorts gängige Praxis, den fliegerischen Nachwuchs in der sogenannten Einsitzerschulmethode mit dem motorlosen Flug vertraut zu machen: Bereits beim ersten Hüpfer am Gummiseil war der Flugschüler vollkommen auf sich allein gestellt – heute undenkbar! Nicht verwunderlich ist es deshalb natürlich auch, dass viele Schulflüge mit Brüchen endeten.

Dennoch: Der minimale finanzielle Aufwand für diese Art der Schulung ermöglichte es überhaupt erst dass Segelfliegen auch für den damaligen deutschen Durchschnittsbürger erschwinglich war.

Der Schulgleiter SG 38 markiert die letzte Entwicklungsstufe einer ganzen Reihe einsitziger Schulgleiter für die Ausbildung von Fliegernachwuchs.

Ziel bei der Entwicklung war es, ein sehr einfaches, robustes und vor allem sicheres Gleitflugzeug für die Pilotenausbildung im Nationalsozialistischen Fliegerkorps (NSFK) zu schaffen. Entwickelt wurde der Schulgleiter beim Schneider Flugzeugbau im Oberschlesischen Grunau. Edmund Schneider, Ludwig Hofmann, sowie Bauprüfer Rehberg waren für die Konstruktion verantwortlich.

Der SG ist im Grunde eine Weiterentwicklung bereits vorhandener Gleitflugzeugmuster wie Zögling 35 und Grunau 9. Vermutlich bereits ab 1936 wurden aus den Erfahrungen der bekannten Muster die ersten Prototypen gebaut und in Grunau eingeflogen. Aus den wahrscheinlich mit „Zögling 37“ bezeichneten Prototypen wurde dann nach erfolgter Zulassung der Schulgleiter SG 38, wobei „SG“ für Schneider Grunau steht und „38“ wie schon bei den Zöglings-Baureihen das Jahr der Zulassung angibt.

Wie seinerzeit üblich erhielt der SG 38 als „Einheits-Schulgleiter“ auch eine Typennummer der Deutschen Forschungsanstalt für Segelflug (DFS): „108-14“ für die einfache Ausführung ohne Führersitzverkleidung (Boot) und „108-14 Ausführung A“ für die Variante mit Boot.

In der Folgezeit entstanden in den NSFK-Ortsgruppen, in Fabriken und auch im Ausland unzählige SGs nach den Plänen. Fast jeder spätere deutsche Luftwaffenpilot, machte ab 1938 seine ersten fliegerischen Erfahrungen auf dem Sitzbrett eines SG 38 am Gummiseil.

Die „Fußgänger“ durften dabei in der Regel mit dem offenen SG bis zur A-Prüfung fliegen. Zur B-Prüfung und auch zur Windenschulung wurde meist die „Ausführung A“, also der SG mit Boot benutzt.

Nach dem Krieg war der SG in Deutschland bei der Freigabe des Segelflugs durch die alliierten Besatzungsmächte oft das erste Flugzeug der wiedergegründeten Gruppen. Noch bis Ende der 1950er Jahre war der SG vielerorts in der Anfängerschulung zu finden. Wie bereits vor 1945 war das Material knapp und die finanziellen Möglichkeiten eng begrenzt. Da war der SG die beste Lösung um so schnell wie möglich wieder in die Luft zu kommen.

In der jungen Bundesrepublik erreichte der Segelflug binnen weniger Jahre wieder Weltniveau. Zahlreiche Firmen wie Scheibe oder Schleicher boten zu günstigen Konditionen einfache und robuste Schulflugzeuge für die Doppelsitzerschulung an. Durch die bessere finanzielle Ausstattung und die flächendeckende Etablierung des Windenstarts war die riskantere Einsitzerschulung nicht mehr zu rechtfertigen. Vielerorts wurde der SG daraufhin abgewrackt und nicht selten wurden die Überbleibsel der „Bauernadler“ verbrannt, so auch in Heubach: Der SG 38 der Fliegergruppe wurde Ende der 1950er Jahre der freiwilligen Feuerwehr für ihre Hauptübung unter dem Motto „Flugzeugabsturz“ überlassen. Mit einem standesgemäßen „Schaumteppich“ zeigten die Floriansjünger dass sie ihr Handwerk verstanden…

In der DDR wurde der SG 38 zusammen mit weiteren Mustern aus der Vorkriegszeit vereinzelt noch bis in die 1960er Jahre eingesetzt, ehe auch dort die Gesellschaft für Technik und Sport (GST) ihren Ortsgruppen doppelsitzige Muster zur Verfügung stellte.

Die Anzahl aller jemals gebauten SGs kann heute nur noch geschätzt werden. Es dürften aber wohl weit über zehntausend Exemplare gewesen sein, denn alleine in der industriellen Fertigung entstanden rund 9000 Exemplare.

Heute sind die meisten SG 38, die das Ende der Einsitzerschulung überdauert haben in Museen untergebracht. Nur wenige Exemplare sind lufttüchtig, wobei es sich dabei in der Regel um Neubauten handelt. Kein Wunder: Die oft zahlreichen Blessuren die ein SG während seines aktiven Dienstes erlitten hat dürften sich bei den teilweise mangelhaft ausgeführten Reparaturen eher negativ auf den Festigkeitsverbund ausgewirkt haben...

Kuriositätenkabinett:

Einige findige Bastler versuchten – vor allem in den 1950er Jahren – den SG dem aktuellen Zeitgeist entsprechend zu modifizieren. So gab es unter anderem in Backnang-Heiningen eine zweisitzige Version. Dank der höheren Flächenbelastung dürfte die Sinkrate allerdings ins unermessliche gestiegen sein…

Auf dem Weg zum flügelschlagenden Muskelkraftflugzeug entwarf Arno Vogel um 1942 einen Flügelschlag-SG.

Ein „Hochleistungsschulgleiter“ flog erstmals im Juli 2009 in Tschechien: Der Besitzer ergänzte beim Wiederaufbau des einmaligen Exemplars jede Flächenhälfte einfach um ein Rippenfeld, sodass der neu entstandene „SG 38LS“ nun rund 11m Spannweite hat. Die Gleitleistung dürfte jedenfalls noch immer unterhalb der einer „eta“ liegen…

 

SG 38 D-7038

Auch der fliegende SG 38 unter BWLV-Obhut ist ein Nachbau. Lediglich der Beschlagsatz stammt von einem Original.

Die Initiative zum Bau kam von Alfred Lohmeyer: Mit dem Ziel, die Grundlagen des Holzflugzeugbaus von der „ersten“ Generation an den Fliegernachwuchs weiterzugeben wird 1993 der Neubau eines Schulgleiters nach Original-Plänen beschlossen. Dabei werden mehrere Arbeitspakete geschnürt und an die teilnehmenden Vereine aufgeteilt. Bis 1997 werden in den Vereinen in Echterdingen, Sinsheim, Mühlacker und Künzelsau die einzelnen Baugruppen rohbaufertig gebaut.

Zwei Jahre später ist der Nachbau komplett und wird am 12. Juni auf dem Flugplatz Hangensteiner Hof auf „Hanns Kellner“ getauft. Der gleichnamige Hilfsfonds für in Not geratene Fliegerkameraden hatte den Bau finanziell unterstützt und wurde beim Luftfahrtbundesamt auch als Eigentümer eingetragen.

In den Folgejahren wird der SG von der Hahnweide aus regelmäßig an die Vereine im BWLV verliehen und hunderte Oldie-Fans kommen so in den Genuss eines ganz besonderen Cabrio-Flugs.

2010 ging der SG 38 offiziell in den Besitz des BWLVs über, der den Schulgleiter seitdem vom Hornberg aus an seine Mitgliedsvereine vermietet.

Eine Besonderheit des BWLV-SG 38 ist mit Sicherheit die unbeschränkte F-Schlepp-Zulassung, die 2013 offiziell erteilt wurde: Im Gegensatz zu anderen SGs darf der BWLV-Schulgleiter auch die magische 300m-Flughöhen-Begrenzung durchsteigen, die einstmals unerfahrene Flugschüler vor schweren Unfällen bewahren sollte.